Anita Suhr absolvierte ein Studium an der Kunstgewerbeschule Lerchenfeld, u.a. bei Prof. Friedrich Adler, der sie nach einer Zeugenaussage „als eine seiner befähigsten Schülerinnen geschätzt“ habe.
Friedrich Adler ist ein heute vergessener, aber vor 1933 sehr angesehenen Designer, Innenarchitekt und Meister der angewandten Kunst. Er wurde 1907 nach Hamburg berufen, als Lehrer für Ornamentik, Naturstudium und Entwurf. Beim Zeichnen legte er den Schwerpunkt auf Schulung vor der Natur, entwickelte ornamentale, von der Natur angeregte Motive und gestaltete die Form entsprechend. Der Journalist Hans W. Fischer nannte Adler 1922 „einen hervorragenden Raumkünstler von sprühender Farbigkeit.“ Adler wurde 1933 aus der Landeskunstschule entlassen und unterrichtete fortan jüdische Privatschüler. 1942 nach Auschwitz deportiert, blieb sein Todesdatum unbekannt.
Ab 1922 war Anita Suhr als freiberufliche Kunstmalerin tätig – eigene Ansprüche und Selbstzweifel prägten die junge Künstlerin. „Jedoch in dem innenpolitisch hochgespannten Jahre 1932 erachtete ich das kämpfende Wort als notwendig und blieb aus diesem Grunde nicht als Malerin tätig, sondern richtete eine Karthotek ein mit wichtigen kulturellen und politischen Artikeln aller Parteirichtungen. Diese wurde von einem sozialdemokratischen Rechtsanwalt (Max Finck, ihr damaliger Verlobter) für seine politischen Verteidigungen genutzt.”
Die Haftzeit von 1935–1941 verursachte schwere körperliche und seelische Schäden. Sie erlebte häufig Zustände von nahezu unerträglicher Konzentrationslosigkeit, migräneartiger Kopfschmerzen und allgemeinem Angstgefühl, wie man in einem Bericht ihres Hausarzt Dr. Kurt Winkler lesen kann. Für fast 25 Jahre waren ernsthafte Kunstaktivitäten nicht möglich.
Und dennoch:
Es gab diese kreative Schaffensphase ab Ende der 50er Jahre. Es fand sich ein Malkreis um Erich Hartmann zusammen, Professor an der HfbK Hamburg, zu dem u.a. Gabriele Schweitzer Daube und auch Anita Suhr zählten.
Das Frühwerk, undatierte vereinzelte Studienarbeiten, wie etwa ein Stuhl oder ein Durchgang in einem Kloster, zeigt Bemühen um möglichst genaues naturalistisches Erfassen der Objekte. Einige Kohlezeichnungen mit Ausblick aus einem vergitterten Fenster auf einen Hof mit hoher Mauer und einen Rundweg oder ein Uniformierter vor weitem Feld dürften der Haftzeit zuzuordnen sein. Die späteren Bilder sind vorwiegend Aquarelle und Gouachen in den klassischen Genres. Helle, farbige Porträts, oft in Halbfigur, Modellstudien, aber auch perfekte Bildnisse, z.B. das schwarzhaarige Mädchen mit blauen Schuhen und Kleid mit getüpfelten Ärmeln in gekonntem nonfinito. Dann Landschaftsausschnitte, studienartig, formal weitgehend aufgelöst, farbig köstlich akzentuiert.
„Mein persönlicher Favorit sind die Stillleben, komprimierte kleine Kompositionen, in jeder Hinsicht perfekt, was die Wahl der Gegenstände angeht, die Zuordnung der Formen, die Farbkomposition, die weitgehende Auflösung des Gegenständlichen und Überführung in die Fläche.“ –Dr. Maike Bruhns
Es bestand sicherlich Empathie, ein gefühltes Einverständnis zwischen Adler, Suhr und Hartmann: alle drei waren leise Menschen, geprägt durch Bescheidenheit, Zurückhaltung, Konzentration auf die Kunst. Bei Anita Suhr führten die traumatischen Erlebnisse und Verletzungen zu dem Entschluss, nicht auszustellen, wodurch der Nachlass vollständig in einer Hand ist. Ihre Bilder wirken wie ihre Wohnung, die ihr Rückzugsort war: klar, transparent, hell, aufgeräumt, ein Gegenpol zu all den dunklen Erfahrungen ihres Lebens.
© Texte von Dr. Maike Bruhns und Joachim Künkel
© Fotos von Rainer Bokelmann
Alle noch existierenden Werke entstanden ab Ende der 50er Jahre. Bilder aus der Zeit vor der Gefangenschaft sind wegen Bombenschäden verschollen.